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Swiss Alpine Marathon in Davos mit Sieg am grünen Tisch

Sieg am „grünen Tisch“: Italienerin Monica Casiraghi

erhält Sieg beim Swiss Alpine Marathon zugesprochen – Einlauferste

Maria Bak durch Schiedsrichterspruch nun Zweite – 100 km-Champion Mario

Fattore entthront Grigory Murzin und sorgt für italienischen

Doppelsieg

Über 4000 Teilnehmer beim Hochgebirgsspektakel Swiss Alpine

Marathon in Davos – Berlinerin Anja Carlsohn gewinnt zum dritten Male den

K 30 von Davos nach Filisur

Das hat es in der neunzehnjährigen Geschichte des Swiss Alpine Marathon

in Davos noch nicht gegeben! Noch am Samstag stand die dreifache

Comrades-Marathon-Siegerin Maria Bak aus Hersbruck auf dem obersten Podest beim

K 78, dem über 78,5 km und 2 320 m Höhenmeter führenden

Wettbewerb und durfte die Glückwünsche durch OK-Chef Andrea Tuffli

und der Konkurrenz, angeführt von der letztjährigen Siegerin Monica

Casiraghi und der Schweizerin Sonja Knöpfli, entgegen nehmen. Doch diese

Reihenfolge wurde am Sonntagmorgen in einer Sitzung des Schiedsgericht gekippt:

Casiraghi vor Bak und Knöpfli, so die endgültige Reihenfolge beim

spektakulären Ultrawettbewerb von Davos über Filisur und Bergün,

den beiden Kulminationspunkten Keschhütte auf 2632 m und Scalettapass auf

2606 m und wieder zurück nach Davos.

Was war geschehen? Von einem vermeintlichen Streckenposten war die zu diesem

Zeitpunkt bereits mit einem Drei-Minuten-Vorsprung ausgestattete Italienerin

nach 37 km auf der Wegstrecke nach Bergün, wie wohl einige andere

Läufer, in ein steiles Bergaufstück geführt worden. Als sie den

Irrweg bemerkte, drehte sie um, machte sich reichlich gefrustet mit einem

Zeitverlust von rund zehn Minuten im Gepäck auf die Verfolgung.

Die dreifache Comrades-Marathon-Siegerin siegt

zunächst

Die Vorjahressiegerin und 100 km-Europameisterin holte die längst davon

geeilte Konkurrenz wieder ein und übernahm kurz nach dem Scalettapass

sogar wieder die Führung. Beim langen Bergabstück durch das

malerische Dischmatal konterte die zwischenzeitlich in Führung gegangene

Maria Bak und zog an der entkräfteten Italienerin vorbei zum knappen Sieg

in 7:00:06 Stunden, während Monica Casiraghi zweieinhalb Minuten

später ins Ziel im Davoser Sportzentrum einlief.

Tuffli spricht von „Sabotage“ und einer „Anzeige

gegen Unbekannt

„Ich war so gefrustet, dass ich in Bergün aufgeben wollte.

Schließlich habe ich 10 Minuten und damit den Sieg verloren!“ sagte

noch am Samstagabend eine enttäuschte Monica Casiraghi. „Hier ist

etwas völlig Unerklärliches geschehen“, formulierte Swiss

Alpine-Chef Andrea Tuffli sein Unverständnis über diesen Vorfall.

„Dies ist sehr bedauerlich, dass es ausgerechnet der Vorjahressiegerin

passiert ist. Wir werden diesem Vorfall natürlich nachgehen!“ Die

Organisationsleitung hat dies noch am Abend gründlich getan und hat sich

nach Anhören von Zeugen zu dem ungewöhnlichen Schritt durchgerungen.

In einer Presseerklärung spricht Tuffli von „Sabotage“ und

einer „Anzeige gegen Unbekannt.

Auch bei den Männern Änderungen

Aber nicht nur durch diese Entscheidung am „grünen Tisch“

wurde die Reihenfolge im Frauenklassement umgekehrt und damit auch die

ausgelobten 4000 Franken der Italienerin zugesagt, sondern auch die

Prämienränge der Männer erfahren eine Änderung. Der als

Vierter eingelaufene italienische 100 km-Europameister Mario Ardemagni

widerfuhr das gleiche Missgeschick, auch wenn er bereits in Filisur als Vierter

rund drei Minuten auf die Spitze mit Grigory Murzin und Mario Fattore

zurück lag und im Ziel 24 Minuten hinter seinem siegreichen Landsmann

Fattore einkam.

Als Trostpflaster darf Ardemagni wie der drittplatzierte Deutsche Michael

Sommer aus Oberstenfeld die 1000 Franken-Prämie einstecken, der

sechseinhalb Minuten vor dem Italiener das Ziel erreichte. Da auch im

polysportiven Team-Wettbewerb mit 3 Läufern und jeweils einem Biker und

Skater Ungereimtheiten zu einem Schiedsrichterspruch und zwei Drittplatzierten

führen, ist die Organisation für die Jubiläumsausgabe 2005

gefordert.

„Wir stellen uns der Kritik!“ geht Andrea Tuffli

postwendend in die Offensive. Schließlich gab es bereits im

Vorjahr Unmutsäußerungen beim in Bergün führenden Mohamad

Ahansal, der von einem Streckenhelfer auf einen falschen Parcours geschickt

wurde, zurücklief und letztlich seinen Vorsprung und den Sieg

einbüßte.

Allerdings könnte die Entscheidung pro Casiraghi noch ein Nachspiel

haben. Schließlich haben die Veranstalter eine sportliche Entscheidung

per Schiedsgericht umgekehrt, indem der Italienerin eine

„Zeitgutschrift“ zugebilligt und der als Erste ins Ziel

eingelaufenen Maria Bak, die sich möglicherweise im vermeintlich leichten

ersten Streckenabschnitt taktisch zurück gehalten hat, um im steilen

Aufstieg zur Keschhütte und der Passage zum Scalettapass genügend

Kraft und Konzentration zu haben, der Erfolg gestohlen wurde.

Die in Polen geborene im fränkischen Hersbruck lebende Maria Bak

jedenfalls ist die Angeschmierte, die sich selbst weder Vorteile verschafft

noch andere behindert hatte. Im Umkehrschluss könnte ein Läufer, der

im Gedränge einen Schuh verloren hatte, nämlich auch keine

Zeitgutschrift für dieses Missgeschick für sich

proklamieren.

Die Schiedsgerichtsentscheidung ist sicherlich

zweischneidig, sie könnte künftig in ähnlich gelagerten

Fällen zu weiteren Einsprüchen Anlass geben. Denn, und das zeigt die

Praxis, bei Langstreckenwettbewerben fernab des Stadionovals kommt es immer

wieder zu Fehlleitungen, egal ob diese an der Spitze oder im weiten Feld der

Hobby- und Freizeitläufer passieren.

Tuffli und Co. wären vielleicht besser beraten, der tapferen Monica

Casiraghi einen eher materiellen Zuschlag zu gewähren als die Rangliste

umzuschreiben. Schließlich basierte letztlich der Schritt, den

Zieleinlauf umzuschreiben, auf reiner Spekulation.

Starke Schweizerin und eine Mannheimerin mit Gebirgslauf-Ambitionen

...

Unbestritten ist jedenfalls, dass im starken Frauenfeld ein heftiger Kampf um

die Plätze entbrannt war, der erfreulicherweise auch eine Schweizerin

eingreifen konnte. Sonja Knöpfli aus Wintertur sah sich durch das

Missgeschick um Monica Casiraghi zwischenzeitlich in Bergün sogar vor

Julia Alter, Maria Bak und Karine Herry in Führung. „Ich war durch

die Lautsprecheransage in Bergün schon verwirrt“, gestand die

27jährige, die ihre Stärken offensichtlich auf den langen

Gebirgsläufen sieht und eine Läuferin mit Perspektiven ist. Vor allem

dann, wenn sie auch die Scheu vor kürzeren Bergläufen verliert, um

sich dort läuferisch weiter zu verbessern.

Auch Julia Alter, im Vorjahr Dritte, ist eine erfrischende Kraft im

erstarrten Ultrabereich, auch wenn die einstige Dominanz einer Birgit Lennartz

vorbei sind. Allerdings ist die Mannheimerin mit dem Makel der Vielstarterei

behaftet, schließlich hat die 32jährige in bereits kürzester

Zeit nicht nur die Marathonpremiere in ihrer Heimatstadt mit Hausrekord,

sondern auch den LGT-Marathon in Liechtenstein, den Zermatt-Marathon und den

Graubünden-Marathon absolviert. Auch Maria Bak ist eine Vielstarterin,

zudem eine erfolgreiche. Wortreich zieht die 45jährige Großmutter

(„Ich bin in der Tat eine Oma, schließlich habe ich schon

Enkelkinder!“) rasch eine komplette Bilanz über ihre sportlichen

Meriten: Comrades in Südafrika, 100 km in Biel, 50 km-Europarekordlerin

...

„Viele Jahre viele Sachen!“ sagt Maria Bak mit unverkennbarem

Akzent belustigt. Von Verletzungen längst nicht verschont, hatte sie

gerade erst ein Übergewicht von neun Kilogramm abtrainiert, um auf die

entsprechenden Kilometer-Umfänge zu kommen. Ihr Mann Kazimir ist dabei

treuer Trainingspartner und „Antreiber“ bei Wettkämpfen wie

auch unterwegs auf der Swiss Alpine-Marathon-Strecke („Er beschimpft mich

wie immer!“).

Duell der weltbesten 100 km-Läufer Die Startliste der K

78-Läufer, so jedenfalls wird der Ultra-Gebirgslauf durch die

großartige Graubündner Gebirgswelt in der Landschaft Davos und dem

Piz Kesch, kommt einem Stelldichein der weltbesten 100 km-Läufer gleich.

Wie auch schon bei der inoffiziellen 100 km-Weltmeisterschaft in Taiwan dabei

die Reihenfolge im Ziel: Mario Fattore vor Grigory Murzin und Michael Sommer,

dahinter der wie eingangs schon erwähnte Europameister Mario Ardemagni vor

Thomas Miksch, dem erfahrenen Ultraläufer aus Kempten mit vielen 100

km-Erfolgen.

Der nicht minder hoch gehandelte Weltklasseläufer Jaroslaw Janicki gab

nach forschem Beginn zudem später auf, der Marokkaner Mohamad Ahansal

wechselte nach seinem letztjährigen Debakel zudem kurzfristig auf die K

42-Strecke.

Der dreifache Swiss Alpine Marathon-Sieger Grigory Murzin lief dabei im Sog

der schnellen „Landwasserläufer“ (K 30) so flott los als gelte

es, einen Streckenrekord auf der Strecke bis Bergün aufzustellen. Dies

sollte sich rächen, denn der fast auf Blickweite dahinter laufende Mario

Fattore kehrte den Neunzig-Sekunden-Rückstand in Bergün beim Aufstieg

über das Val Tuors zur Keschhütte und dem Panoramatrail zum

Scalettapass in einen „komfortablen“ 2:40 Minuten-Vorsprung um,

auch wenn er in derartiger Höhe noch nie einen Wettkampf bestritten hatte.

„Ich habe zwar schon ähnlich lange Gebirgsläufe

bestritten“, bekannte der kleine, nur 58 kg schwere Italiener,

„aber noch nie so anspruchsvolle!“

Noch niemals gab es jedenfalls einen Sieger, der die atemberaubende

Gebirgswelt mit einem Walkman durcheilte. „Mir hat der größer

werdende Abstand zu Murzin und meine Musik einen Adrenalinschub

versetzt!“ Nachgefragt outete sich dabei Mario als Freund trendiger

Popsongs italienischer Machart. Sichtlich enttäuscht war Murzin, dessen

Schock-Taktik mit dem sehr schnellen Start nicht den gewünschten Erfolg

einbrachte, aber vorrangig seinen vierten Sieg im sechsten Auftreten in Davos

einer Fußverletzung zuschrieb. „Ich konnte nur am Anfang und am

Ende so laufen, wie ich wollte. Dazwischen lagen leider 23 Kilometer, die sind

mir nicht gut bekommen!“

Stammgast in Davos ist auch Michael Sommer, der im

dreizehnten (!) Rennen sein bislang bestes Ergebnis einfahren konnte.

„Das war nicht mein leichtestes Rennen!“ bekannte der

40jährige Forstarbeiter aus dem Schwabenland mit leichter Untertreibung,

der dabei seinen vieljährigen Weggefährten Thomas Miksch vom

Podestrang verdrängen konnte.

Tuffli: Für die 20. Auflage die Spannung hoch

halten!“

Andrea Tuffli wäre nicht Andrea Tuffli, wenn er schon ein Jahr vor dem

großen Show-down die Katze aus dem Sack lassen würde.

Schließlich stehen die Organisatoren des großen

Ultra-Bergmarathonspektakels im kommenden Jahr vor einem bedeutsamen

Jubiläum.

Total 4 514 Teilnehmer sprechen für sich, der Swiss

Alpine Marathon ist ein Mega-Event, bei dem sich Menschen aus vielen Nationen

auf unterschiedlichster Weise ein Naturerlebnis, ein Abenteuer

„gönnen“.

Der 78,5 km lange Ultralauf ist dabei nach wie vor das

Kernstück mit 1093 Meldungen, knapp dahinter allerdings schon der

höchstgelegene Bergmarathon Europas K 42 mit 859 Meldungen und dem

über 30 km führenden Einsteigerlauf mit 802 Teilnehmern.

Diesen hat übrigens nun bereits zum dritten Mal in Folge die

Berlinerin Anja Carlsohn gewonnen. „Das ist wieder einmal eine

solide Grundlage“, gestand sie freudig im Ziel in Filisur, „im

Herbst möchte ich das gerne in Frankfurt auch über Marathon

umsetzen!“

Der im Vorjahr kreierte C 42, die Soft-Variante eines Marathons mit eher in

der Tendenz abfallendem Gelände und Ziel in Bergün, sammelte 324

Startwillige an. Den Rest machen die Team-Starter sowie, ganz im Trend der

Zeit, der Walking-Wettbewerb und der Mini-Marathon der Jugendlichen

aus.

Tufflis Hoffnungen sind die 5000 Teilnehmer, die vielleicht beim

großen Stelldichein der „alten Meister“ nach Davos

anreisen könnten. Auf das Wiedersehen mit einstigen Größen wie

Charly Doll, Peter Camenzind, Jörg Hägler oder Peter Gschwend (der

heuer mit nunmehr 52 Jahren Zweiter des C 42 wurde) freut sich der Grandmaster

des „Crazy peak experience“ schon jetzt.

Vielleicht kommt mit Horst Milde auch der inzwischen ins zweite

Glied beim real,- BERLIN-MARATHON gerückte Vater des weltweit beachteten

Laufspektakels in der deutschen Hauptstadt, der vor neunzehn Jahren die

Patenschaft für den Swiss Alpine Marathon in Davos angenommen und

über Jahre hinweg wertvolle Anschubhilfe geleistet hatte. Ob dies

allerdings auch parallel einher geht mit dem Abschied Andrea Tufflis vom

Organisationstableau, das wissen heute allerdings alleine nur die Macher im

engen Führungszirkel in Davos.

Eines jedenfalls ist unbestritten, der Swiss Alpine Marathon hat Emotionen

geschaffen. Swiss Alpine Marathon steht für Naturerlebnis pur, vor allem

dann, wenn Postkartenwetter Tausende auf die Beine bringt, um entweder als

Aktive oder als Begleiter und Zuschauer ein großes, in gewissen Sinne

aber auch verrücktes Laufspektakel mit einer nahezu perfekten Organisation

zu erleben in einer großartigen Landschaft.

Wilfried Raatz

Ergebnisse über:

www.alpine-davos.ch