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Wo bleibt der Nachwuchs...?

Bei den Olympischen Spielen in Sydney wird vorraussichtlich nur ein

Mini-Kontingent an

Deutschen Mittel-und Langstreckenläufern an den Start gehen. Wenn nicht

noch ein Wunder

passiert in den nächsten 10 Tagen bis zu den Deutschen Meisterschaften

werden von 18

möglichen Startplätzen (800m bis Marathon) nur 5-6 besetzt. Über

800m Nils Schumann, 23

Jahre alt; über 1.500m kein Athlet; 3.000m Hindernis: Damian Kallabis, 27

Jahre alt; über

5.000m Jirka Arndt, 26 Jahre, und evtl. Dieter Baumann, 35 Jahre; über

10.000m kein Athlet

und im Marathonlauf Carsten Eich, 30 Jahre, sowie Michael Fietz, 33 Jahre. Vor

vier Jahren

in Atlanta hatten sich noch 11 Athleten qualifiziert, eine dramatische

Reduzierung also um

fast 50%. Da fragt man sich natürlich: "Woran kann das liegen?"

Ich sehe ganz erhebliche Mängel in der Qualität des Trainings und

in der Bereitschaft, das

Leben dem Sport unterzuordnen. Was ersteres anbelangt, zeigt ein Blick zu den

afrikanischen

Läufern, daß zeitweise "brutal" trainiert wird. Durch den

Selektionsprozess und die Gruppen-

dynamik sind immens hohe Trainingsintensitäten möglich, die zu den

vielen Topleistungen dieser

Läufer führen. Nicht nur die Afrikaner führen das vor, sondern

auch die Portugiesen und Spanier.

Diese Trainingsumfänge/-intensitäten sind aber nur möglich, wenn

das Leben dem Sport untergeordnet

wird, das heißt das Laufen wird als Job angesehen. Nebenher arbeiten oder

zügig studieren ist

nicht möglich, weil die vielen Trainingslager und vor allem die Ruhephasen

es nicht zulassen.

Wer dennoch zweigleisig fährt, muß sich nicht wundern, wenn

Verletzungen oder Krankheiten die

Karriere ver- oder behindern. Ich habe den Eindruck, daß sehr viele

deutsche Athleten in der

oberen Leistungsklasse Laufen als Hobby ansehen und sich wundern, warum sie

sich nicht weiter-

entwickeln nach der Jugend- und Juniorenzeit. Ich kenne das von mir selbst,

eigentlich will man

auf nichts verzichten oder limitieren, Ausbildung, Freundin/Freunde, Parties,

Konzerte, Urlaub,

usw., aber darunter leidet die Konzentration auf das Wesentliche, nämlich

Sport ohne Kompromisse.

Natürlich bedeutet das nicht, daß wir mit Topleistungen

überflutet werden ,wenn sich jeder nur

auf's Laufen konzentriert. Aber es würde einigen Athleten einen

großen Schub nach vorne geben.

Die besten Beispiele dafür sind Nils Schumann(23), Damian Kallabis(27),

Jirka Arndt(26) und der

junge Shootingstar Wolfram Müller(19), die sich ganz auf ihren Sport

konzentrieren und damit Erfolg

haben. Selbst ein Nils Schumann bekennt, daß er nie der Disziplinierste

war, aber daß es besondere

Maßnahmen erfordert, um in die Weltklasse zu kommen und auch dieses

Niveau zu halten. Das bedeutet

für Nils konkret; kaum mit Freunden auszugehen abends, diszipliniert zu

essen und extrem hartes

Training. Das fällt nicht leicht, aber nachher braucht man sich nicht

vorzuwerfen man hätte es nicht

mit jeglicher Konsequenz versucht.

Ich hatte vor einem Jahr ein interessantes Gespräch mit einem

Taxifahrer in England. Wir unterhielten

uns über unsere jeweilige Arbeit und er erzählte mir von seinem 70

Std./Wochen Job. Er hatte früher

auch Sport gemacht, aber nicht mit der nötigen Konsequenz und jetzt war es

für ein Umdenken viel zu

spät. Jeder "Profi"-Athlet sollte sein Sportlerleben

würdigen, sagte er, indem er konsequent arbeitet

auch wenn es manchmal weh tut im Training und wenn der mentale Druck, sprich

Angst, vor einem

wichtigen Wettkampf enorm ist. Die vielen Reisen, Freundschaften und Erfolge

würden alles mehr als

wettmachen, war die Meinung des Taxifahrers, der hartes Arbeiten gewohnt

ist.

Doch zurück zum fehlenden Nachwuchs. Es gibt leichte Hoffnungsschimmer

im Langstreckenbereich,

vor allem über 5.000m. Sebastian Hallmann(23), sowie Carsten

Schütz(25) verbesserten sich dieses Jahr

auf 13:26 min. und Jan Fitschen(23) auf 13:34 min. . Nicht zu vergessen

natürlich Wolfram Müller, der

als großes Talent gehandelt wird, der aber auch sehr

verletzungsanfällig ist. Auch im Berliner Bereich

gibt es mit dem 18-jaehrigen Jan Förster (SG EBT Berlin) einen

talentierten Nachwuchsläufer, er wurde

am vergangenen Wochenende Deutscher Jugendmeister über 2.000m Hindernis

und ist ein ernsthafter Kandidat

für die Junioren-EM im kommenden Jahr.

An einen wichtigen Punkt sollten aber alle Athleten denken, eine der

Grundvorraussetzungen für inter-

nationale Topleistungen ist die Grundschnelligkeit. Das heißt, die

Athleten sollten den Mut haben,

schneller auf eine Überdistanzstrecke zu wechseln, wenn sie stagnieren und

nicht erst mit 30 auf die

Marathonstrecke wechseln.

Zu allerletzt möchte ich betonen, daß meiner Meinung nach die

finanzielle Förderung nicht der Schlüssel

zur Behebung der Nachwuchsprobleme ist. Wie oben dargestellt muß erst die

konsequente Einstellung zum

Sport, die Motivation und die Bereitschaft zu intensivem Training vorhanden

sein. Erst dann, wenn eine

entsprechende Leistungsentwicklung vorhanden ist und der/die Athlet/en

leistungsstabil sind, auf einem

hohen Niveau, machen langwöchige Trainingslager im Ausland, sowie

Höhentrainingslager Sinn. Blinder

Aktionismus ist, glaube ich, in diesem Fall nicht angebracht.

Stéphane Franke