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Wilson Kipketers Rückkehr zu alten Träumen

Wilson Kipketer schüttelte den Kopf, als könne er die 800-m-Zeit von

1:42,32 Minuten nicht glauben, die er am frühen Sonntagabend im kleinen

Stadion von Rieti vor den Toren von Rom erzielt hatte. Zu seinem Saisonausklang

hatte der gebürtige Kenianer mit der dänischen

Staatsbürgerschaft noch eine neue Jahresweltbestzeit aufgestellt. Der

31-Jährige erkannte plötzlich, dass sein 1997 aufgestellter

fabelhafter Weltrekord von 1:41,11 Minuten doch noch nicht aus seiner

persönlichen Welt verschwunden ist. Ihn hatte er in einer anderen

persönlichen Ära aufgestellt - bevor er mit einer schweren Malaria um

Leben und Tod rang und er im vorigen Jahr wegen gleich zwei

Ermüdungsbrüchen auszusetzen hatte.

Kipketer zeigte jetzt, dass er die Tugend der Geduld gelernt, er durch

Schaden klug geworden ist. Besonders wichtig: Er wurde sein eigener Herr. Nur

er aus der Weltelite der Leichtathleten tätigt seine Geschäfte

selbst. Es war während seiner besten Zeit, als sein damaliger Manager

derart unverschämte Startgagen verlangte, dass die Organisatoren der

großen internationalen Sportfeste reihum absagten und er hilflos auf dem

Trockenen saß.

Der Europameister von München fällt auf durch seine innere

Unabhängigkeit, wenn er die Klage führt: "Die Athleten dopen,

die Funktionäre schweigen und die Journalisten schreiben nicht

darüber." Gern nimmt er sich der aufsteigenden Talente aus seiner

kenianischen Heimat an, von denen ihn in Rieti der 22-jährige

Vizeweltmeister Wilfred Bungei mit einem winzigen Rückstand von nur zwei

Hundertstel unerwartet stark bedrängte. "Sie müssen

wissen," sagt er, "dass es nicht mehr Sport ist, was wir machen,

sondern reines Geschäft." Doch im Grunde seines Herzens ist er ein

Romantiker geblieben, der eine perfekte Leistung auch mit einer sparsamen Geste

genießen kann.

Schon nach Riete hatte er eigentlich nicht mehr reisen wollen. Er ließ

sich vom Veranstalter überreden, weil sie sich gut kennen. Kipketer plant

eine längere Pause ein. Mehr noch an die Welttitelkämpfe im

nächsten Jahr in Paris stecken ihm die Olympischen Spiele in der Nase. In

Sydney 2000 schnappte ihm der Thüringer Nils Schumann das Gold vor der

Nase weg. Bei der EM nahm er seine erste Revanche - in Budapest 1998 hatte der

Deutsche ihn fast umgerissen -, in Athen soll die zweite Folgen. Der

Neu-Däne hat sich das Gedächtnis eines Elefanten zugelegt.

Von Robert Hartmann