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Kabul-Running – Laufen unter erschwerten Bedingungen

Im folgenden veröffentlichen wir einen Beitrag eines Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan und grüßen damit die Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz. 

Mit freundlicher Genehmigung von "LEX - Das Magazin" - Ausgabe 2005.

In unseren Breiten gibt es sicher Tage, an denen das Laufen einige Überwindung kostet. Doch es gibt Gegenden auf der Welt, wo man als Läufer insgesamt schon sehr gefestigt sein muss. Ein  Soldat des Bundeswehrkontingents der ISAF-Truppen berichtet aus Afghanistan:

Unser Lager liegt etwas außerhalb von Kabul, an der Ausfallstraße Richtung Djalalabad, in 1800 m Höhe, umgeben von Bergen. Kein Baum, kein Strauch, nur nackter Boden und kahle Felsen. Genauso, wie es im Fernsehen aussieht, nur das hier ist Realität. Wir sind Teil der multinationalen Friedenstruppe. Dreieinhalb Monate, dann geht es wieder nach Hause.

Eine Runde sind etwa 2 km

Alles kein Problem – das ist mein Beruf. Aber ich bin auch Läufer.

Man sagt, laufen kann man überall. Und ich bin der Letzte, der nicht  bereit wäre, das zu beweisen. Doch es gibt wirklich nicht viele Möglichkeiten – eigentlich nur eine: der Weg, der innerhalb des Lagers am Zaun entlangführt. Eine Runde sind etwa 2 km.

Nun bin ich nicht unbedingt der Rundenläufer, und die Hitze ist schon gar nicht mein Freund. Zu meinen Stärken zählt jedoch die Sache mit dem Schweinehund. Und schließlich steht ein Halbmarathon an, der Läufer aus den verschiedenen Lagern zusammenführt. 10,5 Runden, die wollen gut vorbereitet sein.

Aber es ist nicht nur der Wettkampf, der motiviert. Es ist das Abschalten vom Dienst, der auch psychisch stark beansprucht.

Die ständige Bedrohung, aber auch die freundlichen Kontakte mit  den Afghanen, die in uns Hoffnung auf Frieden sehen. Die Gespräche mit den Einheimischen auf dem Markt, und mit den Kindern, die unser Fahrzeug umringen, wenn wir auf Patrouillenfahrt sind. Es sind positive Begegnungen, aber sie sind intensiv. Genauso wie der Lageralltag im Acht-Stunden-Schichtdienst. Abwechslung bietet nur die „Betreuungseinrichtung“, ein kombiniertes Kantinen-, Fernseh- und Spielzelt, das Kino, ein Fitnesszelt und das Internetcafé.

Ab und zu gibt es Tischtennis- und Volleyballturniere sowie Fußballspiele, an denen auch Einheimische teilnehmen.

Beim Laufen trifft man nicht viele.

Skandinavier haben ihre Nordic-Walking-Stöcke

Einige der Skandinavier haben ihre Nordic-Walking-Stöcke mitgebracht, und um die Mittagszeit hört man das vertraute Klappern der Stöcke und fühlt sich fast wie zu Hause! Aber ansonsten ist man meist allein auf der „Laufstrecke“.

Und das ist gut so, denn das Laufen ist nicht nur ein Ventil. Es ist auch die einzige Privatsphäre, die man im Lager hat. Allein mit sich und seinen Gedanken. Eindrücke verarbeiten, an zu Hause denken. An die Frau und das Kind, das noch nicht allzu viel vom Vater gesehen hat bei den vielen Auslandseinsätzen in der letzten Zeit.

Da ist der Untergrund egal. Die Schotterpiste, die nur auf der gegenüberliegenden Längsseite neuerdings asphaltiert ist. Die Luft, die sich hier schnell erhitzt und die Schleimhäute austrocknet. Oder der Wind, der den feinen Staub überallhin verteilt und Mund und Nase zusetzen möchte. Auch die Abgase riecht man nicht mehr, denn die Taxen, Lastwagen und Busse, die zu Hunderten die Hauptverkehrsader nach  Pakistan befahren, stoßen eine ganz üble Mischung verschiedenster Schadstoffe aus.

Könnte schlimmer sein

Aber es könnte schlimmer sein: In der Sandsturmsaison von April bis September kommt man sich vor wie im Sandstrahlgebläse und sieht teilweise keine fünf Meter weit. Genauso unangenehm sind die Regenzeiten. Teilweise regnet es jahrelang überhaupt nicht, dann scheint der Himmel alles nachholen zu wollen, was er in den letzten Jahren versäumt hat, und die Wege und Straßen verwandeln sich innerhalb von Stunden in Schlammwüsten.

Natürlich auch unsere Laufstrecke. Und dann hilft nach dem Lauf nur eines: mitsamt den Laufklamotten unter die Dusche. Die wird, wie die gesamte Wasserversorgung des Lagers, von zwei Brunnen gespeist. Dem Waschdienst, der von einer Firma außerhalb des Lagers geleistet wird, vertraut man seine guten Laufsachen nicht mehr an. Das aggressive Waschmittel wäscht zwar alles blütenrein weiß, aber gleichzeitig werden die feinen Microfasern hart und brüchig. Dann schon lieber die Dusch-Wasch-Kombination.

Über dreißig Grad

Inzwischen kommt der Tag des großen Laufes näher. Meinen längsten Lauf habe ich inzwischen auch schon hinter mir: 30 km! Im Laufe der 15 Runden ging es schnell bergauf mit den Temperaturen. Angefangen hatte ich bei angenehmen 18 Grad um sechs Uhr morgens. Doch es waren dann doch gut über dreißig Grad, als das Pensum abgespult war und trotz Lichtschutzfaktor 20 habe ich mir so ziemlich alles verbrannt, was nicht von Laufhemd oder -hose bedeckt war.

Am Tag des Halbmarathons ist das alles vergessen.

Die Veranstaltung wird von den Österreichern organisiert, die heute ihren Nationalfeiertag haben. Und sie haben an alles gedacht. Der Abend vor dem Lauf wird mit der obligatorischen Nudelparty eingeläutet, die in diesem Fall aber eine Crêpesparty ist. Prima Idee!

LKW-Federnweitwurf und Munitionskistenhalten

Tags darauf findet ein großes Rahmenprogramm statt: martialische Disziplinen wie Panzerziehen, LKW-Federnweitwurf und Munitionskistenhalten geben die richtige Einstimmung auf einen entsprechenden Wettkampf. Und es wird auch ein heißes Rennen in jeder Hinsicht. Die Siegerzeit von knapp über 1:17 Stunden unter diesen Bedingungen und jede Menge weiterer Zeiten unter 1:30 lassen auf die gute Form der Truppen schließen.

Und auch ich bin gut drauf: Mit meinen 1:41 bin ich sehr zufrieden.

Zu Hause ziehe ich eine positive Bilanz meines Aufenthaltes in Kabul: Ich habe 10 kg abgenommen in den 14 Wochen, habe keine Probleme mehr mit dem Laufen in großer Hitze, und sogar das Rundenlaufen ist mir richtig ans Herz gewachsen.

Michael Weber, Borken

Dieter Theuermeister, Kassel

(entnommen LEX - Das Magazin - Ausgabe 2005

www.lex-laufexperten.de