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Fritz Schilgen schrieb olympische Geschichte - der Fackelläufer von Berlin 1936

Er wurde nicht 103 Jahre alt wie seine Mutter. Dennoch starb auch Fritz Schilgen (geboren am 8. September 1906) erst im biblischen Alter: Vier Tage nach der Vollendung seines 99. Lebensjahres. In seinem Geburtsort Kronberg nicht weit von Frankfurt (Main). Am Montag, 19. September, 11 Uhr, wird er auf dem Friedhof dieses vornehmen Taunusortes beerdigt. Ganz gewiss werden ihm auch führende Persönlichkeiten des deutschen Sports das letzte Geleit geben. Schließlich schrieb der Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik olympische Geschichte, obwohl er nie als Wettkämpfer an den Olympischen Spielen teilnahm.

Auf Vorschlag des damaligen Leichtathletik-Präsidenten Dr. Karl Ritter von Halt wurde der dreimalige Dritte der Deutschen 1500-m-Meisterschaft (1929, 1931, 1933) ausgewählt, als Letzter von über 3000 Läufern des von Carl Diem erdachten ersten olympischen Staffellaufes das mit einem Brennglas im alten Olympia entzündete Feuer am 1. August 1936 im Berliner Olympiastadion zu entfachen.

3187 km Staffeldistanz

Bevor Fritz Schilgen umjubelt von fast 100 000 Zuschauern die letzte Strecke der insgesamt 3187 Kilometer langen Staffeldistanz durch Griechenland (1108 Läufer), Bulgarien (238), Jugoslawien (575), Ungarn (386), Österreich (219), Tschechoslowakei (282) und Deutschland (267) pünktlich um 16 Uhr – wie es der Zeitplan der Berliner Eröffnungsfeier vorsah – vollendete, hatte der für seinen schönen Laufstil bekannte Fritz Schilgen sich in drei Gutachter-Gremien durchsetzen müssen. Im Ausschuss für Ästhetik saß auch Leni Riefenstahl, die Regisseurin der beiden künstlerisch hochgelobten, allerdings auch stark der Nazi-Propaganda verpflichteten Olympiafilme „Fest der Schönheit“ und „Fest der Völker“. In diesen preisgekrönten Streifen wurde dem rund 500 m langen Lauf von Fritz Schilgen und dem Entzünden des olympischen Feuers ein Denkmal gesetzt. Viele, viele Photos wurden vom sporthistorischen Augenblick geschossen. Man sagt, dass die besten dieser Schnappschüsse von Hanns Hubmann stammten, der zu den besten Fotoreportern seiner Zeit zählte, aber auch aus gemeinsamen Studientagen an der TH Darmstadt und Mittelstreckenläufen im Trikot des ASC Darmstadt ein guter Freund des damals knapp 30 Jahre alten Staffel-Schlussmanns war.

Sportliche Heimat Darmstadt

Womit wir in der sportlichen Heimat von Fritz Schilgen angekommen sind: in Darmstadt. Und gleich von einer Kuriosität berichten können. Auf den Tag genau sechs Jahre vor den sportgeschichtlichen Minuten im Berliner Olympiastadion sprach er am 1. August 1930 im Darmstädter Hochschulstadion bei den „IV. Internationalen Meisterschaften der Studenten“ (auch Studenten-Weltmeisterschaften genannt) den Eid für die Teilnehmer aus 33 Nationen. Vorher hatte er mit seinem Klubkameraden Curt Starkloff als Studienarbeit die gesamten starkstrom- und nachrichtentechnischen Einrichtungen des Stadions geplant und zum Teil selbst ausgeführt.

Und nach dem ehrenvollen Auftrag, der Sprecher des Eides zu sein, zeigte er sein läuferisches Können mit dem dritten Platz im 5000-m-Lauf. Zu seinen sportlichen Meriten zählen Siege gegen einige der größten Mittelstreckler seiner Zeit. 1927 bezwang er in Frankfurt (Main) den späteren französischen Olympiazweiten Jules Ladoumègue, der 1930/’31 Weltrekorde über 1000 m, 1500 m, eine Meile und 2000 m lief, bald darauf aber zum Profi erklärt wurde. Seinen vielleicht wichtigsten internationalen Sieg errang am 18. September 1932 beim Länderkampf Deutschland-Frankreich im Düsseldorfer Rheinstadion, da er mit dem Franzosen Séra Martin und dem Stettiner Dr. Otto Peltzer über 1500 m gleich zwei ehemalige Mittelstrecken-Weltrekordler hinter sich ließ.

Mehr als zwei Dutzend Patente

Nach dem Studium ging Fritz Schilgen 1935 als Laboringenieur zu Telefunken nach Berlin. Mehr als zwei Dutzend Patente kündeten von seiner beruflichen Tüchtigkeit. Bei Telefunken gründete er eine Betriebssportgemeinschaft. Er betreute sie bis Kriegsende. Ende April 1945 war er einer der letzten, die das zerbombte Berlin verließen. In Hamburg, wo er im Leichtathletik-Verband einige Zeit Sportwart war, und in Ulm setzte er seine berufliche Karriere fort, bevor er 1971 in sein Geburtshaus nach Kronberg zurückkehrte.

Als 1972 das Olympische Feuer – diesmal von rund 6000 Läufern auf einer 5532 Kilometer langen Strecke – zum zweiten Male von Olympia nach Deutschland geholt wurde, da begleitete der rüstige Pensionär aus dem Taunus im Auftrag von Willi Daume, dem Chef der Olympischen Spiele 1972, den Fackellauf über die ganze Strecke. Im Auto. Wie sehr er mit dem Sport auch im Alter verbunden war, zeigte eine zehnjährige ehrenamtliche Tätigkeit für die Stiftung Deutsche Sporthilfe. 

Sporthistorische Figur

Der rüstige Mann, der 1936 zu einer sporthistorischen Figur geworden war,  stand 60 Jahre später in seinem 90. Lebensjahr noch einmal im Berliner Olympiastadion: am 15. April 1996 ließ er noch einmal das Olympische Feuer in der Flammenschale auflodern. Gemeinsam mit dem damaligen NOK-Präsidenten Walter Tröger war er 90 Minuten vorher aus dem Flugzeug gestiegen – begleitet vom Olympischen Feuer. Das war zur 100 Jahrfeier der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit, die im April 1896 in Athen stattgefunden hatten, in jenen 23 Städten zu Gast, die bis dahin Schauplatz der Spiele waren.

Also auch in Berlin.        

GUSTAV SCHWENK

 

Zur Person von Fritz Schilgen:

Geboren am 8.9.1906 in Kronberg im Taunus, gestorben am 12. 9. 2005

Die vier Endläufe bei Deutschen Meisterschaften mit seinen besten Platzierungen:

1929 (21. 7. in Breslau / 1.500 m)

  1. Hans Wichmann (Karlshorster TV) 3:57,8 Minuten
  2. Hermann Walpert (Teutonia 1899 Berlin) 4:01,0
  3. Fritz Schilgen (ASC Darmstadt) 4:02,6

1931 (1. 8. in Berlin / 1.500 m)

  1. Helmut Krause (Teutonia 1899 Berlin) 3:57,6 Minuten
  2. Hans Wichmann (SC Charlottenburg) 3:57,6
  3. Fritz Schilgen (ASC Darmstadt) 3:59,2

1933 (13. 8. in Köln / 1.500 m)

  1. Friedrich Kaufmann (DSV 1878 Hannover) 4:00,1 Minuten
  2. Willi Würker (Olympia Berlin) 4:00,5
  3. Fritz Schilgen (ASC Darmstadt) 4:00,8

1935 (4. 8. in Berlin / 5.000 m)

  1. Max Syring (KTV Wittenberg) 15:07,2 Minuten
  2. Richard Blöch (TV Eppingen) 15:07,2
  3. Heinrich Haag (SV Darmstadt 98) 15:08,8
  4. Fritz Schilgen (SG Siemens Berlin) 15:10,4