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Die Marathon-Medaillen und Urkunden beim real,- BERLIN-MARATHON

Die Medaillen des real,- BERLIN-MARATHON, die jeder Läufer im Ziel

erhält, spiegeln ein Stück Marathongeschichte wider. Zunächst

zeigten sie antike Läuferfiguren. Seit 1978 sind die Plaketten den

Marathon-Olympiasiegern gewidmet. Ebenfalls sind auf den Teilnehmer-Urkunden,

die jeder Läufer erhält, Bilder der Olympiasieger zur Erinnerung

plaziert. Den Pionieren des Marathons soll damit posthum ein Denkmal gesetzt

werden, denn sie sind schließlich die Vorläufer und auch Vorbilder

der heutigen Marathon-Laufbewegung,

Dabei gab es vier Ausnahmen. Beim 25. BERLIN-MARATHON 1998 wurde eine

Jubiläumsmedaille entworfen, 1999 zeigten die Medaillen den Kopf von

Ronaldo da Costa (Brasilien), ein Jahr später das Konterfei von Tegla

Loroupe (Kenia). Beide waren in Berlin Weltrekord gelaufen. Und 2001 lief die

Siegerin Naoko Takahashi (Japan) ebenfalls Weltrekord und konnte gleichzeitig

ihr Konterfei auf der Medaille im Ziel entgegennehmen. Ein programmierter

Weltrekord. In diesem Jahr geht der real,- BERLIN-MARATHON weit in die Historie

zurück: Die Medaillen und Urkunden zeigen Mohamed El Ouafi, den

Olympiasieger von 1928. Die Berliner Marathonmedaillen im Überblick:

1974 - 77: Antike Läuferfiguren

1978: Kitei Son (Korea/1936)

1979: Spiridon Louis (Griechenland/1896)

1980: Waldemar Cierpinski (DDR/1976 und 80)

1981: Frank Shorter (USA/1972)

1982: Hannes Kolehmainen (Finnland/1920)

1983: Alain Mimoun (Frankreich/1956)

1984: Abebe Bikila (Äthiopien/1960 u. 64)

1985: Michel Théato (Frankreich/1900)

1986: Juan Zabala (Argentinien/1932)

1987: John Hayes (USA/1908)

1988: Emil Zatopek (Tschechoslowakei/1952)

1989: Mamo Wolde (Äthiopien/1968)

1990: Joan Benoit (USA/1984)

1991: Carlos Lopes (Portugal/1984)

1992: Delfo Cabrera (Argentinien/1948)

1993: Kenneth McArthur (Südafrika/1912)

1994: Gelindo Bordin (Italien/1988)

1995: Rosa Mota (Portugal/1988)

1996: Spiridon Louis (Griechenland/1896)

1997: Waldemar Cierpinski (DDR/1976 und 80)

1998: Together weve run into history

1999: Ronaldo da Costa (Brasilien/Weltrekordler)

2000: Tegla Loroupe (Kenia/Weltrekordlerin)

2001: Naoko Takahashi (Japan/2000)

2002: Mohamed El Ouafi (Frankreich/1928)

Als der kleine hagere Mann als Marathonsieger über den Zielstrich lief,

die Sonne schien und von der Nordsee her wehte eine leichte Brise, da wollten

die Zuschauer ihren Augen nicht trauen. Denn auf Mohamed El Ouafi war niemand

vorbereitet gewesen. Doch jetzt, am 5. August 1928, stand für den 29 Jahre

alten Läufer nach einer 2:32:57,0 Stunden währenden Zeit das Tor zum

Paradies sperrangelweit offen. Sein magischer Ort war das Olympiastadion von

Amsterdam, wo die Sportwelt die IX. Spiele der Neuzeit feierte.

Der am 15. Oktober 1898 in Ould Djileb in Algerien geborene Muselman war ein

Kolonialfranzose, und deshalb fiel es auf den ersten Blick nicht auf, dass er

jetzt der erste mit olympischem Gold dekorierte Afrikaner wurde. Der schwarze

der fünf olympischen Ringe legte sich unsichtbar wie ein Lorbeerkranz um

seinen Hals – er war kein Geringerer als ein Pionier.

Eine Zeitlang hatte El

Ouafi als einfacher Arbeiter im Automobilwerk Renault sein Brot verdient. Doch

die Armee versorgte ihn mit Sold und Zeit, nachdem er in Paris 1924

Olympiasiebenter auf den 42,195 km geworden war. Aber die seitdem verstrichene

Zeit hatte ihn in seiner langatmigen Kunst der Fortbewegung nicht so weit voran

gebracht, um ihn für Amsterdam unter die Favoriten einzureihen. Unter den

68 Teilnehmern galt er als Mitläufer. Bis zur Hälfte der Strecke

erfüllte er auch auf dem unauffälligen 20. Platz diese Prognose. Nun

war es seine Art, das einmal eingeschlagene Tempo beizubehalten, und

während er also auf dem holprigen Band des Kopfsteinpflasters nicht

nachließ, ging seinen Vordermännern allmählich die Luft aus.

Plötzlich war er bei 30 km auf Platz neun vorgeschlichen, und bei km 39

hatte er sogar den letzten Ausreißer gestellt, Kanamatsu Yamada. Die

Erfolgsgeschichte brauchte nur noch eine hübsche Fußnote, und hier

ist sie: El Ouafi hatte unterwegs keine Informationen erhalten, und man kann

sich sein ungläubiges Staunen vorstellen, als er im Stadion als

Olympiasieger empfangen geheißen wurde.

Yamada war in sich zusammen gesackt, und wehrlos musste er auch noch den

Chilenen Miguel Plaza und den Finnen Martti Marttelin an sich vorbei ziehen

lassen. Wer gern erste Augenblicke sammelt, weiß, dass sich hier

Südamerika auf die Landkarte lief und dass Japan eine olympische Premiere

feierte, die eine lange Leidenschaft auslösen sollte. Nippon entdeckte in

Amsterdam im Marathon die Ausprägung eines offenkundig typischen

Charakterzuges.

Die Journalisten beschrieben El Ouafi als einen Mann mit zerzausten Haaren

und entschlossenem Blick. Er wurde als ein Läufer mit eisernem Willen

geschildert. Sein Manko, zu Zwischenspurts oder Tempovariationen nicht

fähig zu sein, glich er durch eine präzise arbeitende innere Uhr mehr

als aus. Er war am Anfang so schnell wie zum Schluss. Auf der Aschenbahn hatte

er nichts zu bestellen, Läufer seines Schlags verbreiten nur Langeweile.

Es war logisch, was die letzte Zuflucht war, der Gipfel an Stehvermögen:

Marathon. „Niemand hat mich überholt," sagte der stoisch seine

25.000 Schritte setzende Sieger stolz. Und die Grande Nation trug ihn auf

Händen, weil er ihr am Schlusstag die einzige Leichtathletik-Goldmedaille

zu Füßen gelegt hatte.

Seine plötzliche Berühmtheit nutzte El Ouafi aus, und für

gutes Geld brach er mit dem Pyle Circus nach Amerika auf. Bekannt wurden

Auftritte im berühmten New Yorker Madison Square Garden. Auf welche Weise

er als Ausdauerwunder sein Plätzchen bei Menschen, Tieren, Sensationen

ausfüllte, ist nicht überliefert. Allerdings bezahlte er mit dem

eklatanten Verstoß gegen den streng gehandhabten Amateurparagrafen einen

hohen Preis, eine lebenslange Wettkampfsperre. Über sein Leben senkte sich

schnell der lange Schatten der Anonymität. El Ouafi war ausgestoßen

und wurde schnell vergessen. Erst mit seinem Tod geriet er wieder kurz in das

öffentliche Interesse. Denn am 18. Oktober 1959 wurde er, 61 Jahre alt, in

einem Café in Saint-Denis, das heute ein Pariser Stadtteil ist, bei

einer wüsten Rauferei das Opfer einer mysteriösen Messerstecherei.

Die nur noch mäßig neugierige Sportwelt las darüber ein paar

Zeilen in den Zeitungen, und in "LEquipe" erinnerte der Autor an ein

verlorenes Paradies.

Robert Hartmann